Der Sannyasi, ein indischer Weiser, hatte den Dorfrand erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder,
als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte:
»Der Stein! Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!« »Welchen Stein?« fragte der Sannyasi.
»Letzte Nacht erschien mir Gott Shiva im Traum«, sagte der Dörfler, »und sagte mir, ich würde einen Sannyasi finden,
der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre.«
Der Sannyasi durchwühlte seinen Sack und zog einen Stein heraus.
»Wahrscheinlich meinte er diesen hier«, sagte er, als er dem Dörfler den Stein gab.
»Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben.«
Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant.
Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war so groß wie ein menschlicher Kopf.
Er nahm den Diamanten und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich im Bett und konnte nicht schlafen.
Am nächsten Tag weckte er den Sannyasi bei Anbruch der Dämmerung und sagte:
»Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglicht, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben.«
Die Reden von Meister Bankei fanden bei Menschen aller Ränge Beachtung.
Diese große Zuhörerschaft ärgerte einen Priester der Nichiren-Sekte, den seine Anhänger verlassen hatten, um vom Zen zu
hören. Der selbstsüchtige Nichiren-Priester ging in den Tempel und beschloss, sich mit Bankei auseinanderzusetzen.
»He, Zen-Lehrer!« schrie er. »Warte eine Minute. Wer dich achtet, soll sich deinem Wort unterwerfen.
Aber ein Mann wie ich achtet dich nicht! Kannst du mich dazu bringen, dir zu gehorchen?«
»Komm her zu mir, und ich will es dir zeigen«, sagte Bankei. Stolz bahnte sich der Priester einen Weg durch die Menge zu
dem Zen-Lehrer. Dieser lächelte.
»Komm an meine linke Seite.« Der Priester tat wie befohlen. »Nein«, sagte Bankei, »wir können wohl besser reden,
wenn du auf der rechten Seite bist. Geh hier herüber.« Stolz trat der Priester auf die rechte Seite hinüber.
»Du siehst«, bemerkte Bankei, »du gehorchst mir, und ich glaube, daß du ein sehr liebenswürdiger Mensch bist.«
Am Strand eines Meeres wohnten drei alte Mönche. Sie waren so weise und fromm,
dass jeden Tag ein kleines Wunder für sie geschah.
Wenn sie morgens zum Bade gingen, hängten sie ihre Mäntel in den Wind und diese blieben schweben,
bis die Mönche wiederkamen, um sie zu holen.
Eines Tages, als sie sich wieder in den Wellen erfrischten, sahen sie einen großen Seeadler übers Meer fliegen.
Plötzlich stieß er auf das Wasser herunter, und als er sich wieder erhob, hielt er einen zappelnden Fisch im Schnabel.
Der eine Mönch sagte: »Böser Vogel!« Da fiel sein Mantel aus dem Wind zur Erde nieder, wo er liegenblieb.
Der zweite Mönch sagte: »Du armer Fisch!« – und auch sein Mantel löste sich und fiel auf die Erde.
Der dritte Mönch sah dem enteilenden Vogel nach, der den Fisch im Schnabel trug.
Er sah ihn kleiner und kleiner werden und endlich im Morgenlicht verschwinden.
Der Mönch schwieg – sein Mantel blieb im Winde hängen.
Eines Tages fragte ein Schüler seinen Meister: »Was ist der Sinn eines Lebens in Stille und Meditation?«
Der Mönch, der gerade Wasser aus einem tiefen Brunnen schöpfte, sagte: »Schau in den Brunnen. Was siehst du?«
»Nichts«, antwortete der Schüler.
Nach einer kurzen Weile forderte der Meister den Schüler erneut auf, in den Brunnen zu blicken.
»Was siehst du jetzt?« »Jetzt sehe ich mich selbst!« antwortete der junge Mönch. Der Meister lächelte.
»Vorhin, als ich das Wasser schöpfte, war es unruhig. Doch jetzt ist es ruhig. Darum geht es auch bei der Meditation.
Du siehst dich selbst.«
Die beiden standen eine Weile schweigend nebeneinander. Dann fragte der Meister: »Was siehst du jetzt?« E
rstaunt sagte der Schüler: »Jetzt sehe ich sogar die Steine auf dem Grund des Brunnens!«
»So«, sagte der Meister, »ist es auch mit Stille und Meditation. Wenn du nur lange genug wartest siehst du den Grund aller
Dinge, den Grund allen Seins.«
Eine alte Frau holte täglich Wasser mit zwei großen Schüsseln, die von den Enden einer Stange hingen,
die sie über ihren Schultern trug. Während die eine Schüssel makellos war, hatte die andere einen Sprung
und war am Ende der Wanderung vom Fluss zurück zum Haus immer nur noch halb voll.
So brachte die Frau viele Jahre lang nur anderthalb Schüsseln Wasser nach Hause.
Die Schüssel schämte sich wegen ihres Makels. Schließlich konnte sie nur die Hälfte dessen verrichten,
wofür sie gemacht worden war.
Eines Tages sagte sie zu der Frau: »Möchtest du mich nicht ersetzen? Ich schäme mich so sehr wegen des Sprunges,
aus dem unterwegs immer Wasser läuft.« Die alte Frau lächelte.
»Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen? Ich habe dort Blumensamen gesät,
weil ich mir deines Fehlers bewusst war. Nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen.
Seit Jahren kann ich mit diesen wunderschönen Blumen meinen Tisch schmücken.
Wärst du nicht so, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und unser Haus beehren.«
Ein Professor wanderte weit in die Berge, um einen berühmten Zen-Mönch zu besuchen.
Als der Professor ihn gefunden hatte, stellte er sich höflich vor,
nannte alle seine akademischen Titel und bat um Belehrung.
»Möchten Sie Tee?« fragte der Mönch. »Ja, gerne«, sagte der Professor.
Der alte Mönch schenkte Tee ein. Die Tasse war voll, aber der Mönch schenkte weiter ein,
bis der Tee überfloss und über den Tisch auf den Boden tropfte.
»Genug!« rief der Professor, »Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist? Es geht nichts mehr hinein.«
Der Meister sah ihn lächelnd an und sagte:
»Genau wie diese Tasse sind auch Sie voll von Ihrem Wissen und Ihren Vorurteilen.
Um Neues lernen zu können müssen Sie zuerst Ihre Tasse leeren.«
Ein alternder Meister war der Beschwerden seines Schülers müde.
Eines Morgens schickte er ihn los, etwas Salz zu besorgen.
Als der Schüler zurückkam, bat der Meister ihn, eine Handvoll Salz in ein Glas Wasser zu mischen
und dies dann zu trinken. „Na, wie schmeckt es dir?“ fragte der Meister.
„Bitter“, sagte der Schüler und verzog sein Gesicht. Der Meister lachte und bat dann den jungen
Mann, eine gleiche Handvoll Salz in den nahen See zu mischen.
Die beiden gingen schweigend zum See und nachdem der Schüler seine handvoll
Salz in das Wasser gemischt hatte, sagte der alte Mann, „nun trinke aus dem See.“
Wieder fragte der Meister: „Wie schmeckt es?“ „Frisch“, sagte der Lehrling.
„Hast Du das Salz geschmeckt?“, fragte der Meister. „Nein“, sagte der junge Mann.
Darauf saßen sie beisammen und der Meister erklärte dem jungen Mann leise: Werde ein See
„Der Schmerz des Lebens ist reines Salz, nicht mehr, nicht weniger.
Die Menge der Schmerzen im Leben bleibt genau gleich.
Jedoch ist die Menge der Bitterkeit, die wir schmecken abhängig vom Kontext, in dem wir den Schmerz fühlen.
Wenn Du also Schmerzen fühlst, ist das einzige, was Du machen kannst, deinen Sinn für die Dinge zu vergrößern.
Hör auf ein Glas zu sein. Werde ein See.“