Bildquelle: Stephan Roehl
Die
Wirtschaft
in
Ordnung
zu
bringen,
ist
nur
ein
Teil
des
Problems.
Dringend
muss
auch
die
gesellschaftliche
Logik
des
Konsumismus
angegangen
werden.
Das
ist
gar
nicht
so
einfach
-
schließlich
sind
die
materiellen
Güter
sehr
fest
in
die
Textur
unseres
Lebens
eingewoben.
Wohlstand
hat
nicht
die
gleiche
Bedeutung
wie
materieller
Reichtum.
Für
Wohlstand
braucht
man
mehr
als
nur
die
Versorgung
mit
materiellen
Dingen
für
den
Lebensunterhalt.
Wohlstand
beruht
auf
der
Möglichkeit
zu
gedeihen
-
physisch,
psychisch
und
sozial.
Über
den
reinen
Lebensunterhalt
hinaus
hängt
der
Wohlstand
ganz
wesentlich
von
der
Möglichkeit
ab,
sinnvoll
am
Leben
der
Gesellschaft
teilzunehmen.
Diese
Aufgabe
hat
neben
einer
materiellen
auch
eine
soziale
und
eine
psychologische
Seite.
Es
gibt
die
reizvolle
Vorstellung,
man
könne
sich,
sind
die
materiellen
Bedürfnisse
erst
einmal
befriedigt,
von
den
materiellen
Dingen
lösen.
Dieser
Idee
steht
aber
eine
ebenso
einfache
wie
wichtige
Tatsache
entgegen.
Die
materiellen
Güter
liefern
uns
eine
wirkmächtige
Sprache,
mit
deren
Hilfe
wir
über
das
kommunizieren,
was
uns
wichtig
ist:
Familie,
Identität,
Freundschaft,
Gemeinschaft,
Sinn
des
Lebens.
Hier
stoßen
wir
auf
ein
Rätsel.
Wenn
es
wirklich
darum
geht,
Teil
der
Gesellschaft
zu
sein,
und
wenn
materielle
Güter
uns
eine
Sprache
zur
Verfügung
stellen,
die
uns
dies
ermöglicht,
dann
müsste
es
doch
in
den
reicheren
Gesellschaften
mehr
aktive
Teilnahme
am
öffentlichen
Leben
geben.
Tatsächlich
scheint
aber
das
Gegenteil der Fall zu sein.
Robert
Putnams
bahnbrechendes
Werk
Bowling
Alone
lieferte
umfangreiches
Anschauungsmaterial
über
den
Zusammenbruch des Gemeinschaftssinns überall in den USA.
Die
westlichen
Gesellschaften
scheinen
sich
insgesamt
im
Griff
einer
»sozialen
Rezession«
zu
befinden.
Darüber
ist
man
sich
quer
durch
das
politische
Spektrum
überraschend
einig.
Jonathan
Rutherford
zum
Beispiel,
ein
Publizist
aus
dem
linken
Lager,
weist
auf
steigende
Zahlen
bei
Angst
und
klinischer
Depression
hin,
auf
verstärkten
Alkoholismus,
Komatrinken
sowie
den
Niedergang
der
Arbeitsmoral.
Jesse
Norman,
von
der
politischen
Rechten,
prangert
den
Zerfall
des
Gemeinschaftsgefühls
an,
den
Vertrauensverlust
überall
in
der
Gesellschaft
sowie
die
zunehmende
politische
Apathie.
Zu
den
Gründen
für
die
soziale
Rezession
machen
beide
Autoren
unterschiedliche
Angaben.
Rutherford
sieht
die
Hauptschuld
in
der
zunehmenden
Kommerzialisierung
öffentlicher
Güter
und
der
wachsenden
sozialen
Ungleichheit,
die
durch
den
Kapitalismus
hervorgebracht
werde.
für
Norman
liegt
die
Schuld
im
erdrückenden
Einfluss,
den
ein
übermächtiger
Staat
auf
das
Leben
der
Menschen
habe.
Ihre
jeweiligen
Lösungsvorschläge
sind
entsprechend
verschieden.
Darüber,
dass
wir
eine
soziale
Rezession
durchleben,
gibt
es
jedoch
kaum
Differenzen.
Das
Ausmaß
des
Phänomens
unterscheidet
sich
sicher
von
Land
zu
Land.
Dies
wird
durch
Daten
zum
gesellschaftlichen
Wohl,
die
aus
dem
European
Social
Survey
stammen,
veranschaulicht.
Die
Abbildung
auf
der
nächsten
Seite
zeigt
die
unterschiedlichen
Grade
von
Vertrauen
und
Zugehörigkeit,
wie
sie
Befragte
in
22
europäischen
Ländern
erleben.
Die
Länder
mit
den
höchsten
Werten
(zum
Beispiel
Norwegen)
weisen
einen
erheblich
höheren
Grad
an
Vertrauen
und
Zugehörigkeitsgefühl auf als diejenigen mit den niedrigeren Werten (zum Beispiel Großbritannien)…
Einem
der
Autoren
zufolge
waren
»1971
selbst
die
schwächsten
Gemeinschaften
noch
stärker
als
irgendeine
Gemeinschaft heute«…
Ein Leben ohne Scham
Interessanterweise
kam
Amartya
Sen
in
seinem
Frühwerk
über
den
Lebensstandard
diesem
Rätsel
sehr
nah.
Er
führt
dort
aus,
die
materiellen
Erfordernisse
fürs
physische
Gedeihen
seien
in
allen
Gesellschaften
recht
ähnlich,
denn
schließlich
funktioniere
der
menschliche
Stoffwechsel
überall
ziemlich
gleich.
Sen
behauptete
jedoch,
dass
sich
die
materiellen Voraussetzungen für soziale und psychische Fähigkeiten je nach Gesellschaft beträchtlich unterschieden.
Seine
Argumentation
greift
Adam
Smiths
Erkenntnis
über
die
Bedeutung
der
Scham
im
gesellschaftlichen
Leben
auf.
So
schrieb
Smith
in
Der
Wohlstand
der
Nationen:
»Ein
leinenes
Hemd
z.
B.
ist
streng
genommen
kein
unentbehrliches
Lebensbedürfnis
...
Aber
heutzutage
würde
fast
in
allen
europäischen
Ländern
ein
anständiger
Tagelöhner
sich
schämen,
öffentlich
ohne
ein
leinenes
Hemd
zu
erscheinen,
dessen
Mangel
jenen
schimpflichen
Grad
von
Armut
bezeichnet,
zu
dem,
wie
man
annimmt,
niemand
ohne
den
schlechtesten
Lebenswandel
herabsinken
kann.«
Sen
weitet
diesen
Gedanken
auf
eine
breitere
Warenauswahl
und
ein
tieferes
Verständnis
vom
guten
Leben
aus.
So
schrieb
er,
»ein
Leben
ohne
Scham,
...
Freunde
besuchen
und
einladen
zu
können,
auf
dem
Laufenden
bleiben
über
das,
was
geschieht
und
worüber
die
anderen
reden,
und
so
weiter,
dies
alles
erfordert
in
einer
Gesellschaft,
die
insgesamt
reicher
ist
und
in
der
die
meisten
Leute
bereits
etwa
über
Fahrzeuge,
Kleidung
im
Überfluss,
über
Radios
oder
Fernseher
und
so
weiter
verfügen,
ein
aufwendigeres
Paket
an
Gütern
und
Dienstleistungen
«.
Es
kann
also,
meint
er,
»das
gleiche
absolute
Niveau an Fähigkeiten, relativ gesehen, höhere Einkommen (und Warenmengen) voraussetzen«.
Wenn
wir
für
den
Augenblick
einmal
beiseite
lassen,
dass
höhere
Einkommen
zum
Teil
für
weniger
Gedeihen
verantwortlich
sind,
fällt
hier
doch
ein
Umstand
ganz
besonders
auf.
Wenn
wir
die
Bedeutung
materieller
Güter
für
gesellschaftliche
Fähigkeiten
als
gegeben
annehmen,
dann
wird
es
nie
einen
Punkt
geben,
an
dem
wir
sagen
können:
Genug ist genug…
Und
das
Vermeiden
von
Scham
-
ein
wichtiges
Kennzeichen
sozialen
Gedeihens
-
wird
die
materielle
Nachfrage
gnadenlos
antreiben.
Im
Grunde
ist
dies
eine
neue
Sicht
auf
die
…
untersuchte
gesellschaftliche
Logik.
Es
ist
aber
auch
noch
klarer
geworden,
wie
die
soziale
Falle
funktioniert.
Auf
der
individuellen
Ebene
ist
es
durchaus
sinnvoll,
Scham
zu
vermeiden.
Es
ist
Voraussetzung
für
soziales
und
psychisches
Gedeihen.
Der
Mechanismus
allerdings,
mit
dem
Scham
in
der
Konsumgesellschaft
vermieden
wird,
wirkt
in
die
vollkommen
falsche
Richtung.
Auf
der
gesellschaftlichen
Ebene
kann
das
nur
zu
Fragmentierung
und
Werteverlust
führen
und
untergräbt
eben
damit
auch
die
besten
Absichten
des
Einzelnen.
Man
kann
sich
des
Verdachts
nicht
erwehren,
dass
die
Sprache
der
Güter
nicht
das
leistet,
was
man
von
ihr
erwartet.
Am
Ende
bleibt
nichts
als
ein
unwürdiges
Gerangel
um
einen
Platz
möglichst
weit
oben auf der Leiter.
Innerhalb
des
herrschenden
Paradigmas
gibt
es
aus
dieser
gesellschaftlichen
Falle
keinen
Ausweg.
Das
ist
Anlass
zu
großer
Sorge.
Solange
der
soziale
Fortschritt
von
dem
sich
selbst
verstärkenden
Kreislauf
von
Neuheit
und
Angst
abhängt,
kann
sich
das
Problem
nur
noch
verschärfen.
Der
materielle
Verbrauch
wird
unweigerlich
zunehmen.
Und
die
Aussichten,
innerhalb
ökologischer
Grenzen
zu
gedeihen,
lösen
sich
in
Luft
auf.
Der
Wohlstand
selbst
-
in
jeder
vernünftigen
Bedeutung
des
Wortes
-
ist
bedroht,
und
das
nicht
durch
die
aktuelle
Rezession,
sondern
weil
der
Materialismus endlos wächst und unser Wirtschaftsmodell dies für alle Zukunft festschreibt.
Alternativer Hedonismus
Wandel
tut
not.
Es
gibt
auch
bereits
ein
gewisses
Mandat
für
den
Wandel.
Quer
durch
alle
Parteien
macht
man
sich
Sorgen wegen der sozialen Rezession und ist durch Erkenntnisse wie die aus der Sheffield-Studie beunruhigt.
Politiker
bemühen
sich
um
Lösungen.
Kleinere,
von
Bürgergemeinschaften
oder
kommunalen
Behörden
geleitete
Initiativen,
die
sich
gegen
die
schädlichen
Auswirkungen
der
sozialen
Rezession
wenden,
entstehen
vielerorts
von
unten.
Die
Philosophin
Kate
Soper
stellt
eine
wachsende
Lust
auf
einen
»alternativen
Hedonismus«
fest,
auf
Quellen
der
Befriedigung
außerhalb
des
konventionellen
Marktes.
Sie
beschreibt
eine
weitverbreitete
Ernüchterung
vom
modernen
Leben
-
was
sie
als
eine
»Gefühlsstruktur«
bezeichnet
-,
dass
die
Konsumgesellschaft
sozusagen
einen
kritischen
Punkt
überschritten hat, an dem der Materialismus damit beginnt, aktiv das menschliche Wohl zu beeinträchtigen.
Während
wir
dem
Kreislauf
von
Arbeiten
und
Geldausgeben
zu
entkommen
suchen,
leiden
wir
unter
Ȇberdruss
am
Müll
und
Chaos
des
modernen
Lebens«
und
sehnen
uns
nach
bestimmten
Formen
von
Zwischenmenschlichkeit,
die
in
neuerer
Zeit
verschwunden
sind.
Soper
zufolge
würden
wir
Eingriffe
begrüßen,
durch
die
das
Gleichgewicht
wiederhergestellt
würde.
Der
Übergang
zu
einem
alternativen
Hedonismus
würde
zu
einem
ökologisch
nachhaltigeren
Lebensstil
führen,
der
uns
auch
mehr
Befriedigung
verschaffen
und
uns
glücklicher
machen
würde.
Einige
statistische
Erkenntnisse
untermauern
diese
Position.
Der
Psychologe
Tim
Kasser
hat
auf
den,
wie
er
es
nennt,
hohen
Preis
des
Materialismus
hingewiesen.
Materialistische
Werte
wie
Beliebtheit,
Image
und
finanzieller
Erfolg
stehen
psychologisch
gesehen
gegen
die
»inneren«
Werte
wie
Selbstakzeptanz,
Beziehung,
Zugehörigkeit
zu
einer
Gemeinschaft.
Letztere
Werte
sind
aber
gerade
die,
die
zum
Wohlbefinden
beitragen.
Sie
sind
die
Bausteine
des
Wohlstands.
Kassers
Erkenntnisse
sind
beeindruckend.
Menschen,
die
sich
stärker
an
diesen
inneren
Werten
orientieren,
sind
glücklicher
und
empfinden
zugleich
mehr
Verantwortung
für
die
Umwelt
als
Menschen
mit
materialistischen
Werten.
Dieser
Befund
ist
außergewöhnlich.
Er
deutet
darauf
hin,
dass
ein
weniger
materialistisches
Leben
sozusagen
eine
doppelte
oder
dreifache
Dividende
abwirft.
Die
Menschen
sind
glücklicher
und
führen
ein
nachhaltigeres
Leben,
wenn
sie
innere
Ziele
bevorzugen
und
damit
in
Familie
und
Gemeinschaft
eingebunden
sind.
Wenn man diesem Befund Glauben schenkt, ist ein gutes Leben innerhalb ökologischer Grenzen möglich.
Diese
Möglichkeit
wurde
in
modernen
Gesellschaften
bereits
bis
zu
einem
bestimmten
Grad
erprobt.
Gegen
die
Flut
des
Konsumismus
gibt
es
Widerstand;
es
gibt
Menschen,
die
der
Aufforderung,
»shoppen
zu
gehen«,
eine
Absage
erteilt
haben
und
stattdessen
ihre
Zeit
lieber
weniger
materialistischen
Beschäftigungen
widmen
(zum
Beispiel
Gärtnern,
Wandern,
Musik
oder
Lesen)
oder
sich
um
andere
kümmern.
Einige
(nach
einer
neueren
Studie
bis
zu
einem
Viertel
der
Befragten)
haben
sogar
ein
niedrigeres
Einkommen
hingenommen,
damit
sie
solche
Ziele
verfolgen
können.
Über
diese
stille
Revolution
hinaus
hat
es
auch
eine
Reihe
grundsätzlicher
Versuche
gegeben,
ein
einfacheres
und
nachhaltigeres
Leben
zu
führen.
»Freiwillige
Einfachheit«
stellt
gewissermaßen
eine
ganze
Lebensphilosophie
dar.
Sie
bezieht
sich
in
weiten
Teilen
auf
die
Lehren
Mahatma
Gandhis,
der
die
Menschen
dazu
aufgerufen
hat,
»einfach
zu
leben,
damit
andere
überhaupt
leben
können«.
Im
Jahr
1936
hat
ein
Schüler
Gandhis
freiwillige
Einfachheit
beschrieben
als
»das
Vermeiden
überflüssiger
äußerlicher
Ablenkung«
und
als
»die
bewusste
Organisation
des
Lebens
auf eine Bestimmung hin«.
…
Aus dem Inhalt zitiert…
Wir müssen in der Gesellschaft wieder ein Gefühl für den tieferen Sinn des Lebens wecken.
Dass so viele Menschen in ihrem Leben unglücklich sind, sollte uns Hinweis dafür sein, dass Erfolg alleine nicht reicht.
Es ist seltsam, aber der materielle Erfolg hat uns in den seelischen und moralischen Bankrott geführt.
Ben Okri, Oktober 2008
Tim
Jackson,
ein
1957
geborener,
renommierter
britischer
Natur-
und
Wirtschaftswissenschaftler,
beschreibt
in
seinem
Buch
„Wohlstand
ohne
Wachstum“
Auswüchse
und
Grenzen
des
auf
stetigem
Wachstum
beruhenden
kapitalistischem
Wirtschaftssystems.
Ohne
ein
Blatt
vor
den
Mund
zu
nehmen,
stellt
er
dezidiert
und
fundiert
unsere
Art
des
Lebens
in
einer
Welt
endlicher
Ressourcen
in
Frage
und
zeigt,
wie
ein
einzig
auf
Wachstum,
Profit
und
Konsum
ausgerichtetes
System
die
Grundlagen
jeglicher
Menschlichkeit
und
damit
die
Menschen
selbst
zerstört.
Er
verknüpft
dabei
ökonomische
Prozesse
auch
mit
ökologischen
Aspekten
ohne
selbst
ein
Patentrezept
als
Weg
aus
der
Krise
präsentieren
zu
können.
Und
trotzdem
gewinnt
der
Leser
einen
Eindruck
von
und
Einsicht
in
Lösungsmöglichkeiten
aus
dem
Dilemma
mit
kritischem
Blick
auf
die
manchmal
lieb
gewordenen
kleinen
täglichen
Herausforderungen
durch:
Hinterfragung,
Verzicht,
Verteilung,
Bodenständigkeit,
Vertrauen,
Empathie
und
sehr
viele
andere
Faktoren.
Für
den
etwas
anspruchsvolleren
Leser
geschrieben,
wird
man
spätestens
hier
im
Nachhinein
nicht
mehr
mit
dem
Finger
zuerst
auf
andere
zeigen,
sondern
in
den
vielen
kleinen
Dingen
des
Alltags
selbst
anfangen,
Veränderungen
umzusetzen.
Und nur so kann es funktionieren.
oekom verlag,
ISBN
978-3865814142
- Kommentar Thomas Klemp 2019 -